Frank Schulze lässt eine abenteuerliche Fahrt von 1983 Revue passieren – mit 23 PS im Zweitakt nach Bulgarien – im Transit durch eine Ecke Lenin-Land.
Wir schreiben 1983. Familie Schulze aus Hoyerswerda bereitete eine gigantische Trabi-Tour vor. Nicht ganz ohne Vorkenntnisse. Frank, der Hauptakteur, hatte es mit seinem Kumpel Hagen 1979 auf je einer MZ TS 250 nach Bulgarien geschafft. Nach einem üblen Motorradunfall stieg er auf Trabi um, heiratete 1981 und fuhr nun mit weiblicher Reisebegleitung durch den Osten Europas. Die Hohe Tatra und Ungarn waren bereits mit dem Trabi erkundet, 1982 wurde erstmals Bulgarien angesteuert. Nessebar. Aber das sollte noch nicht das Ende der Reisefreiheit sein, wie sie im Osten möglich war.
Irgendwann las er in der Zeitschrift „Deutscher Straßenverkehr“ die Beschreibung einer Reise per Wartburg in die Sowjetunion (SU; Kurzform der offiziellen Landesbezeichnung UdSSR -Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken-). Die Voraussetzungen schienen kompliziert: man brauchte eine Einladung von dort oder vorgebuchte Übernachtungen – sonst gab es kein Visum. Man brauchte Zeit; wenigstens drei Wochen. Und man brauchte ein zuverlässiges Auto. Es gab aber auch die Möglichkeit, über das SU-Reisebüro „Intourist“ im Transit durch die SU nach Rumänien oder Bulgarien zu fahren. Der Kontakt zu „Intourist“ lief über das ortsansässige Reisebüro (der DDR). Man musst es nur wissen. Frank wusste es, und so gelang es ihm, zwei Übernachtungen (in Lwow im Hotel „Dnestr“ und in Kischinjow im Hotel „Strugerasch“) für vier Personen zu organisieren. Vier; denn mit von der Partie sollten Franks damalige Schwiegereltern sein, die einen fast neuen Škoda S 100 hatten. Etwa eine Woche vor Reisebeginn kamen die Visa – der Countdown lief ... Geld musste noch umgetauscht werden. Der Papiergeldstapel, tschechische Kronen, sowjetische Rubel, rumänische Lei, bulgarische Lewa und ungarische Forint, war fünf Zentimeter dick.
Die Vorbereitung der Autos war kein Problem. Man wusste, was kaputt gehen könnte. Ersatzteile wie Kopfdichtung, Unterbrecher, Kondensator, Zündspule, Vergaserschwimmer, Kraftstoffleitung, Spannband vom Gebläse, Gas- und Kupplungszug, Keilriemen ... lagen eh immer griffbereit im Kofferraum. Der Abzieher für die Radnaben, eine Kupplungsscheibe samt Automat, eine Lichtmaschine samt Regler, ein Kreuzgelenk, ein paar Bremsmanschetten, Bremsflüssigkeit und eine selbstgebastelte dreiteilige Reservefrontscheibe wurden noch zusätzlich eingepackt. Die Ersatz-Frontscheibe bestand aus drei 1,2-mm-Piacryl-Platten. Einen ADAC oder sowas gab es nicht, ein Unfall mit unreparablem Schaden wäre ein Fall für das Konsulat gewesen.
Kurz vor Reisebeginn gab es noch einen mächtigen Schreck. Beim Blick unter das Auto stellte Frank fest, dass der Längsträger des Trabis ab der Trägergruppe nach hinten rings rum gerissen war. Theoretisch konnte sich der Trabi durchbiegen. Guter Rat war teuer – der Trabi war immerhin 17 Jahre alt. War der Riss überhaupt schweißbar oder würde das erhitzte Material beim Auftreffen der Autogen-Flamme wegen Rost in sich zusammenfallen? Es kam hinzu, dass der Trabi untenrum recht gut mit Elaskon konserviert war. Viel besser kann man wohl die Aufgabe nicht beschreiben. Aber der Schweißer war gut. Sehr gut.
Am 20. August 1983 ging es ab Hoyerswerda los. Zeitbestimmend waren die gebuchten Hotel-Übernachtungen in der UdSSR. Die mussten unbedingt erreicht werden. Nach zwei Zeltnächten in der ČSSR und 989 km Fahrstrecke war der Grenzübergang zur Ukraine, also UdSSR, bei Sobrance erreicht. Dort brauchte man Zeit, denn die Hauptsorge der Zöllner war der gigantische Lkw-Verkehr – auch aus der DDR. Geschenkt. Problematisch war der Kauf von Talons für Benzin. Für die nun kommende Strecke würde der Trabi etwa 150 Liter Benzin brauchen. Zweitakt-Öl waren fünf Liter im Gepäck. Weil der Sprit in der SU nur etwa eine DDR-Mark kostete, war klar, dass man das Land mit vollem Tank und möglichst zwei gefüllten 20-Liter-Kanistern verlassen wollte. Denn der Sprit im nächsten Etappenland, in Rumänien, kostete 3,40 DDR-Mark. Kurz hinter Ushgorod kam die erste ordentliche ukrainische Tanke in Sicht. Überall roch es nach Diesel und Benzin. Der berühmte Peilstab wurde in den Tank gesteckt: gut 16 Liter würden hinein passen. Zwei 20-Liter-Talons abgegeben, zwei Kanister (einen als Puffer) geöffnet neben den Trabi gestellt und es ging los.
Eine riesige Sauerei bahnt sich an
Die Tankwartin wählte mit einer Art Telefonscheibe „40 Liter“. Nach zwölf Litern bemerkte Frank, dass sich die Zapfpistole nicht abschalten ließ. In der anderen Hand hatte er den Messbecher mit dem Motorenöl, welches in den Tank mit eingemischt werden musste. Relativ schnell war klar, dass die eingewählten 40 Liter ungebremst fließen würden. Eine riesige Sauerei bahnte sich an. Die Kunst war, die sprudelnde Zapfpistole ohne gefährliche Kleckerei über den sehr heißen Auspuffkrümmer und Vorschalldämpfer in den Kanister Nr. 1 zu würgen. Der Sprit war übrigens schlecht; niedrig-oktanig – die Motoren „klingelten“ unter Last. Nun auf nach Lwow. Die Straßen in den Wald-Karpaten waren schlecht, für heutige Verhältnisse sehr schlecht. Stellenweise heftiger Regen machte Schlaglöcher unsichtbar, weil randvoll gefüllt. Eine ganz große Sorge: die Gefahr, die Trabi-Frontscheibe durch Steinschlag einzubüßen. Eigenbau-Reservescheibe hin oder her – Glasbruch wäre dramatisch gewesen. Man hätte dann bis Bukarest / Rumänien aushalten müssen – in einem Spezial-Geschäft am Gara de Nord (Nordbahnhof) gab es sowas – das wusste man aus den Vorjahren und aus Erzählungen anderer Reisender.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit war glücklich die Großstadt Lwow erreicht. Wo aber war das Hotel? Keine Ahnung ... Regen, Blendung durch Gegenverkehr und Straßenbeleuchtung; der dicht hinter dem Trabi fahrende Škoda – es war aufregend. Frank gelang es dank seiner recht ordentlichen Russischkenntnisse, einen Radfahrer mit Rennrad nach dem Weg zum Hotel zu fragen. Der half tatkräftig: „Der Radfahrer fuhr zügig – mitunter mit 40 km/h in unserem Abblendlicht voraus – wir mit unseren beiden Autos hinterher.“ Geschafft!
Am nächsten Tag standen 650 Kilometer bis Kischinjow (Moldawien) an. Auf der Piste Richtung Ternopol/Kiew nahm der in Stadtnähe enorme Lkw-Verkehr schlagartig ab. Stattdessen schlichen Traktoren und Pferdefuhrwerke auf der Europa-Straße (E 50 beziehungsweise E 471) rum. Nach knapp zwölf Stunden Fahrt war das Hotel Strugerasch (Weintraube) in Kischinjow erreicht. „Gegen 23 Uhr – wir waren schon längst eingeschlafen gab es neben unserem Balkon einen lautstarken Auftritt einer russisch schreienden Dame.“ Am nächsten Morgen erzählte man uns, dass ein Hotelgast seinen Zimmerschlüssel versielt und versucht hatte, total angetüdelt sein Hotel-Zimmer über die Balkonbrüstung im dritten Stock zu erreichen. Dabei hatte er sich um ein Fenster verzählt und stand plötzlich im Zimmer der äußerst erschrockenen Dame. Die machte natürlich tüchtig Späne, denn im Grunde genommen war ja dieser Kletterer ein Einbrecher. Sie hatte ihn aber nicht über die Brüstung geschubst.
An diesem Tag hatten die Abenteurer Zeit. Das Transit-Visum lief gegen 24 Uhr ab. Am frühen Nachmittag standen die beiden Autos an der rumänischen Grenze. Kein Grenzer war zu sehen – und der Trabi stand direkt über einer Inspektionsgrube. Die Gelegenheit war super, mal in die Grube zu klettern und nach den Schweißnähten zu sehen. Denkste. „Genau drei Treppenstufen schaffte ich, da standen drei Grenzer mit Kalaschnikows im Anschlag schräg über mir. Ich versuchte zu erklären. Dank des technischen Russischunterricht beim Studium wusste ich, was «Schweißen» und «Schweißnaht» auf Russisch hieß. Es half nicht – wir wurden gründlich gefilzt.“ Natürlich stolperten die Zöllner über die beiden prall gefüllten 20-Liter-Benzinkanister. Aber nur ein gefüllter Kanister war erlaubt. Also musste der zweite 20er mit einem Trichter, der wegen seines Trabi-Tank-Bajonettverschlusses nicht wirklich auf das Fass der Grenzer passte, entleert werden: 20 Liter mal 3,40 DDR-Mark, nach nun gleich rumänischen Verhältnissen 68 DDR-Mark; für Frank zwei Tagelöhne. Schmerz ... Beim Straf-Umfüllen ging einiges vorbei samt dem bereits beigemischten, kostbaren Hyzet-Zweitakt-Motorenöl. „Als ich dann noch mit blödem Grinsen «Druschba» (Freundschaft) zischte, hob einer der Zöllner die Kalaschnikow vorn leicht an ....“
Nun Rumänien – vermeintlich vertrautes Terrain – aber Siebenbürgen ist eben nicht in der Nähe der Moldawischen Grenze. Einen Tag später rollten Škoda und Trabi in Bulgarien ein. Hier gab es eine putzige Trabi-Geschichte. Ein Bulgare erklärte uns mit Händen und Füßen, dass an seinem Trabi auf dem Campingplatz Kranewo in ziemlicher Nähe die Kupplung rutschte. Das pastellblaue Stück hatte um die 80.000 km auf der Uhr; die Kupplung konnte also gut verschlissen sein. Hier am Schwarzen Meer konnte dem Sofioter keiner helfen. Das nächste Trabi-Teile-führende Geschäft war in Russe, also 200 km entfernt. Er bettelte förmlich um Hilfe. Frank als gelernter Autoschlosser wusste natürlich, was wie ging – und hatte eine neue Kupplungsscheibe für 14,80 DDR-Mark dabei. Er wechselte nicht zum ersten Mal eine Kupplungsscheibe; aber nun zum ersten Mal, ohne den Motor komplett aus dem Motorraum heraus zu heben. Nach anderthalb Stunden war der Zauber vorbei – durchgeschwitzt ging’s zur Dusche und danach zum Abendbrot beim Bulgaren. „Das war heftig – mit Slivovic und so – echt anstrengend gefährlich“.
Abwärts ist die echte Schwierigkeit
Die Rückreise verlief unspektakulär. Der Trabi summte völlig zufrieden und locker drehend sein Liedchen, hüstelte hier und da mal ein blaues Wölkchen und der Škoda brummte in seinem Windschatten hinterher. Dabei wurde in Rumänien der Transfagaras-Pass mit seinen 2.042 m Höhe angesteuert. Die 1974 fertiggestellte Straße war wohl die höchste und schönste für den einfachen DDR-Bürger befahrbare „hochalpine“ Passstraße, wenn man die Straßen im Kaukasus nicht mit einbezieht. Entgegen der allgemeinen Meinung hat der Trabi hoch zu keine ernsthaften Probleme. Wenn man ihn meist im 2. Gang locker jubeln lässt, kommt man problemlos oben an. Das Problem ist aber die Bergab-Passage! Franks Trabi hatte 1983 noch eine Einkreis-Simplex-Bremse und die erforderte ordentlich Fußkraft. Schlimmer war jedoch, dass ein Zweitaktmotor im Schiebebetrieb argen Schmierungsmangel hat. Wenn man es nicht richtig macht, riskiert man bergab einen Kolbenklemmer, im dümmsten Fall eine festgehende Kurbelwelle. Deswegen wurde Schiebebetrieb nur seltenst eingesetzt. Dabei läuft man als Fahrer zur Hochform auf. Bei getretener Kupplung – bergab – mit mittleren Gasstößen den Motor reichlich Gemisch zu verpassen, ist lebenswichtig und schon fahrerisch anspruchsvoll. Echte Könner stehen mit der rechten Ferse auf dem Bremspedal und betätigen zeitgleich mit der rechten Fußspitze das Gas, wogegen mit dem linken Fuß die Kupplung wechselweise betätigt wird. Zuvor wurde das Gemisch durch manuelle Beigabe auf etwa 1:25 angefettet. Und die Einkreis-Bremse darf nicht schlapp machen: Wenn die zu heiß wird, tritt man ins Leere – das wäre der Super-Gau. Aber es ging alles gut, auch wenn die schmalen Reifen, 5.20er Diagonalis, in den Serpentinen furchterregend wimmerten.
Wien – nah und doch unerreichbar
Während Bulgarien und Rumänien scheinbar fest in DDR-Hand waren, änderte sich in Ungarn schlagartig das Bild. Der Touristenanteil von BRD-Bürgern war deutlich höher. „Da waren wir mit unserem kleinen süßen Trabi völlig bedeutungslos. Wir erfreuten uns an dem farbenprächtigen Warenangebot in Szeged, Budapest und Györ.“ Interessant war dann noch, dass sich in Mosonmagyaròvàr der Touristenstrom teilte. West-Germanen und Österreicher bogen Richtung Wien ab, der brave DDR-Bürger Richtung Bratislava / Brno / Prag. Wien war nur 80 km entfernt, dennoch unerreichbar.
Am 10. September 1983 war das osteuropäische Auto-Abenteuer glücklich vollendet – da erreichte Frank mit seiner damaligen Frau und seinen (Ex-) Schwiegereltern nach insgesamt 5.100 km wieder die Heimatstadt Hoyerswerda. (fs/mit JJ)